Vorschau auf die Golf-Saison 2023
Fragen, die die Golf-Welt 2023 bewegen
Vier Major-Sieger bei den Männern unter 30, fünf Major-Siegerinnen aus fünf Ländern, die Kämpfe – samt Abschiedstränen auf dem Old Course – des Tiger Woods, die Major-Krämpfe des Rory McIlroy, Scottie Schefflers Aufstieg, dazu die Umwälzungen aufgrund der LIV Golf Tour – was kommt nach diesem spektakulären Golf-Jahr 2022 in den kommenden Monaten auf uns zu? Geht es dramatischer? Sagen wir so: Die Chancen stehen nicht schlecht. Das sind die großen Fragen dieses Jahres.
Holt Rory McIlroy endlich sein „zweites“ erstes Major?
Natürlich war 2022 keine Enttäuschung. Aber die Maßstäbe eines Rory McIlroy sind eben doch andere als viermal nah dran, aber nie ganz oben zu sein. War es das beste Golf seiner Karriere, das mit dem Trostpreis des Siegs im Finale der PGA Tour belohnt wurde? Bei keinem Major war der Nordire schlechter als Rang acht platziert. Die Golfwelt wartet aber – wie er selbst – auf den fünften Major-Sieg, den McIlroy seinen „noch einmal ersten“ nennt nach nun bald neun Jahren Pause. Natürlich ist er wieder Favorit beim Major-Neustart in Augusta im April. Es wäre nicht nur ein gewaltiges Comeback, es wäre auch der Eintritt in den illustren Kreis von Golfern mit Karriere-Grand-Slam.
Nur Gene Sarazen, Ben Hogan, Gary Player, Jack Nicklaus und Tiger Woods holten in ihrem Sportlerleben alle vier Major-Titel. Mit zwei Siegen bei der PGA Championship und Triumphen bei den US und British Open Championships war McIlroy 2014, nur sieben Jahre nach seinem Einstieg ins Profilager, bereits ganz nah dran. Und wenn man bedenkt, dass der damals 21-Jährige 2011 in der Masters-Finalrunde von Rang eins auf Position 15 abstürzte, ist der Career Grand Slam wirklich überfällig. Die Chance auf ein historisches Jahr ist da – auch weil der nächste Senkrechtstarter des Jahrtausends mit einsetzenden Major-Yips, Jordan Spieth, bei der PGA Championship ebenfalls wieder eine Chance auf seinen persönlichen Karriere Grand Slam hat.
Endlich wieder ein deutscher Heimsieg?
Die deutschen Golfer haben bei den Porsche European Open und der BMW International Open eine historische Chance: Der Titel bei einem deutschen Top-Golfturnier ist so nah wie lange nicht mehr. Die Zahl vollwertiger Mitglieder auf der DP World Tour aus Deutschland liegt in diesem Jahr bei zehn Spielern – Rekord. Insgesamt werden wohl gut 20 deutsche Golfer bei der 40. Ausgabe des Traditionsturniers auf dem Porsche Nord Course der Green Eagle Golf Courses bei Hamburg vom 01. – 04. Juni und vom 22. – 25. Juni im GC München Eichenried am Abschlag stehen.
Die Titelhoffnungen sind nach eindrucksvollen Top-Ergebnissen in den vergangenen Monaten groß. Marcel Siem (Hero Indian Open), Maximilian Kieffer (D+D Real Czech Masters) und Yannik Paul (Mallorca Golf Open) sorgten mit ihren Siegen auf der DP World Tour innerhalb von gut sechs Monaten für ein spektakuläres Ende der acht Jahre langen Wartezeit auf einen deutschen Sieg in der ersten Liga des europäischen Golfsports. Ein deutscher Sieg bei einem Heimturnier liegt sogar 15 Jahre zurück. Diese Pause wollen die amtierenden Titelträger bei ihrem jeweils ersten Auftritt als Champions in Deutschland beenden – und freuen sich auf ganz besondere Heim-Events in diesem Jahr.
LIV Golf – hot or not?
Die Golfwelt ist gespalten – und wird es auch vorerst bleiben. Die Frage ist, ob eine Seite nachgibt. Die US PGA Tour – mit DP World Tour im Schlepptau – reformierte jüngst ihren Turnierkalender und schenkt den Besten mehr Geldgarantien, den Fans mehr bestbesetzte Turniere ohne Cut. Eine der großen Fragen: Wie funktioniert die neue Zweiklassigkeit der Tour im Spannungsfeld zwischen topbesetzten Feldern und der nötigen Chance, sich von außen in den illustren Zirkel reinspielen zu können. Die LIV Golf Tour sieht sich schlecht kopiert im finanziell lukrativen und elitär verkleinerten Turnierformat. Der Neuankömmling hat für ein Top-Produkt aber weiterhin nicht die besten Golfer und vor allem nicht die Tradition und die Weltranglistenpunkte im Angebot. Dafür (noch) Unmengen Geld. Die Tradition atmen die LIV Golf Spieler bei den Majors, für die sie (sofern sportlich qualifiziert) starberechtigt sind. Dort droht der große Clash – spannende Zeiten für Golf-Fans allemal.
Die neue Tour, finanziert aus dem Staatsfonds Saudi-Arabiens, sieht sich Vorwürfen von Sportswashing ausgesetzt. Zudem fehlen noch die Zuschauerzahlen. Entwickelt sich alles nicht wie gewünscht, trotz innovativem Team-Wettbewerb und viel Marketing-Brimborium, werden bald erste Profis auf eine Rückkehr auf die US PGA Tour hoffen. Gerüchte über einen zweifelnden Brooks Koepka machten bereits die Runde. Stand jetzt bietet nur ein Scheitern von LIV Golf eine Aussicht auf ein einigermaßen friedvolles Zusammenwachsen. Die Fronten sind verhärtet, oder wie Rory McIlroy, der gemeinsam mit Tiger Woods eine weitere Side-Turnierserie mit dem Einverständnis der PGA Tour ins Leben rief, es bei CNN formulierte: "Ich denke, es gibt Wege, das zu flicken und wieder zusammenzubringen. Aber bei allem, was im Moment los ist, sehe ich nicht, dass das in der Zukunft passieren wird.“
USA vs Europa
19:9 – es war eine deftige Klatsche im bislang letzten Ryder Cup. Damals, 2021 in Whistling Straits, deklassierte das US-Team die Europäer mit dem deutlichsten Ergebnis seit 1979, als die Spieler vom europäischen Festland zur Euro-Equipe dazustießen. Ein blau-gelber Aufstieg begann, der nun 42 Jahre später durch ein dominantes US-Team beiseite gewischt wurde. Diese US-Auswahl zeigt auch zwei Jahre später keine Anzeichen, in Italien im Herbst viel weniger Punkte einzusammeln.
Der Engländer Luke Donald wurde zum europäischen Kapitän erkoren, als Henrik Stenson die finanziellen Trümpfe der LIV Golf einer ruhmreichen Position ohne derartige direkte Bezahlung vorzog. US-Kollege Zach Johnson hat die undankbare Aufgabe des Elfmeterschützens im Fußball. Alle erwarten den Erfolg. Alles andere wäre niederschmetternd. Ein verjüngtes europäisches Team ohne die LIV-Protagonisten Poulter, Westwood, Garcia, Kaymer, McDowell etc., die den Ryder Cup lange Zeit prägten, könnte jedoch auch eine Chance sein. Es gibt wenig zu verlieren. Und vielleicht schafft es auch ein deutscher Golfer ins zwölfköpfige Team. Derzeit existiert eine Außenseiterchance für Yannik Paul und Marcel Siem. Aber das würde ja passen.
Bei den Frauen ist die Ausgangslage eine andere. Im Solheim Cup 2023 in Andalusien, Spanien, hat das US-Team die schwierige Aufgabe, einen europäischen Hattrick zu verhindern. Nach zwei Siegen 2015 und 2017 verloren die USA im schottischen Gleneagles knapp, bevor sie 2021 im Inverness Club, Ohio, zuhause erneut unterlagen. Für beide europäischen Siege zeigt sich vor allem die schottische Team-Europe-Kapitänin Catriona Matthew verantwortlich. Nun hat die Norwegerin Suzann Pettersen den Job inne. Stacy Lewis, die Kapitänin des US-Teams, kann auf viel Talent zurückgreifen: Nelly Korda, Lexi Thompson und Jennifer Kupcho waren 2022 top unterwegs.
Erst der Solheim Cup Mitte September, dann der Ryder Cup Ende September – was ein Highlight-Monat gegen Ende der Saison!
Der nächste Star
Neun Majors wurden 2022 im Golfsport bei Frauen und Männern ausgespielt – fünfmal jubelte der Sieger oder die Siegerin über ihren ersten Major-Titel. Masters Champion Scottie Scheffler war einer der großen Aufsteiger des Jahres, später sogar Player of the Year der PGA Tour. Die US-Golferin Jennifer Kupcho, 25, die das erste Damen-Major 2022 (Chevron Championship) gewann, etablierte sich in der weiblichen Weltspitze.
Wer folgt diesen Shooting-Stars 2023?
Ganz vorne auf der Liste: Tom Kim. Der Südkoreaner ist der erste Golfer seit Tiger Woods, der vor seinem 21. Geburtstag zweimal auf der PGA Tour gewann. Sein Sieg bei den Shriners Children's Open im Oktober war der eines beeindruckenden Jahres, in dem er auch beim Presidents Cup mit atemberaubendem Golf und viel Ausstrahlung für Furore sorgte. 2023 könnte bereits zum Krönungsjahr von King Kim werden. Oder schafft es Will Zalatoris, 26, endlich, der mehrmals knapp am Major-Sieg vorbeischrammte und dreimal Major-Zweiter wurde? Sechs Top-10-Platzierungen bei zehn Major-Teilnahmen sind unglaublich stark – und unglaublich bitter.
Bei den Frauen fällt der Blick auf die 20-jährige Atthaya Thitikul. Das „thailändische Wunderkind“ (CNN) war im Oktober 2022 plötzlich die Nummer 1 der Welt und wurde im darauffolgenden Monat nach zwei Siegen in ihrer Debütsaison zum LPGA Tour Rookie of the Year gekürt. Folgt nun der erste Major-Sieg?
Und was ist mit dem deutschen Top-Talent Chiara Noja? Die 16-jährige Deutsche hatte im vergangenen Herbst mit einem Sieg auf der LET für weltweite Furore gesorgt. Im Sommer war die gebürtige Berlinerin im Alter von nur 15 Jahren als bislang jüngste europäische Siegerin eines Weltranglisten-Events bereits in die Weltklasse aufgestiegen. Mitte März belegte sie nach Platzrekord erneut Rang drei auf der LET in Südafrika. Welche Schritte macht das Riesentalent in diesem Jahr? Die Aussichten sind jedenfalls großartig – auch, weil sie nur die Spitze einer Menge Golferinnen aus Deutschland ist, die sich ihren Weg in die Weltspitze bahnen.
Und klar, Tiger!
Crashs, Verletzungen, Comebacks – das Leben des wohl prägendsten Golfers der Geschichte ist ein Kampf geworden. Gegen die Zeit, gebrochene Knochen, den beschädigten Rücken, Tabletten und den Druck, den sich da einer in früh erlernter Kompromisslosigkeit immer noch macht. Er trete immer an mit dem Ziel, gewinnen zu wollen, sagt Woods, inzwischen 47. Dabei ist diese Erwartung eine, die er mehr und mehr exklusiv hat. Bei der 150. Open in St. Andrews, dem Ort, wo der Golfsport seinen Anfang nahm und Woods zweimal die Open Championship gewinnen konnte, verabschiedete er sich im Juli 2022 unter Tränen nach zwei Runden. Er humpelt nach seinem heftigen Autounfall im Februar 2021 noch immer. Die Frage ist also: Wie oft wird er 2023 antreten? Und wie wird er sich schlagen? Jedes Turnier des 15-fachen Major-Siegers wird eine heiß ersehnte Geschichte im Golf-Kosmos sein, angefangen beim Masters in Augusta im April, wo das wellige Terrain den Körper noch ein wenig mehr schindet. Auch Ryder-Cup-Kapitän Zach Johnson hat ihn für das US-Team in Italien im September im Blick, sagt er. Weil Tiger Woods eben Tiger Woods ist. Und weil wir bei diesem Tiger Woods nie sicher sind, ob nicht vielleicht doch…?